Die Hoffnung des dritten Weges

Interview mit Herbert Borck

Interview mit Herbert Brock

Ich jongliere mit Land / Stadt / LandStadt und dialogisiere weiter. Diesmal mit Herbert Borck vom stadtland Büro. Wir haben’s von der Freiheit, von Krisen und der Mutprobe, das »Entweder-Oder« zu streichen.

Herbert ist ursprünglich aus Vorarlberg und lebt seit zwei Dekaden in Wien, unweit vom Naschmarkt entfernt. Seinen kurzen Aufenthalt in Vorarlberg nutzen wir in Montafoner Manier und finden uns im Gasthof Löwen wieder. Landstadt trifft auf stadtland. Das Wortspiel an sich ist bereits Grund zur Freude.

Es ist inspirierend, mit Herbert zu sprechen. Er wählt seine Worte mit Bedacht, verzichtet auf Stereotypen und sondiert sein eigenes Hinterfragen. Freies Denken scheint ihm teuer zu sein und von seinem besonnenen Wesen ist eine große Weltreichweite abzulesen.

Vorarlberg befindet sich in einer Identitätskrise. Wir glauben, wir leben auf dem Land, wobei wir schon längst in der Stadt leben.
Herbert Brock Raumplaner, stadtland Büro

Als Raumplaner liegt Herberts Expertise darin, bestehende Qualitäten von Raum zu beleuchten sowie neue zu schaffen. Zweifelsohne will ich nicht versäumt haben, nachzufragen, wie das Phänomen »LandStadt« bei ihm landet. Die Macht der Gewohnheit geht mit mir durch und ich vermute zugleich das vertraute kleine Lobeslied. Herberts Antwort schenkt mir dann Boden: Vorarlberg, sagt er, befinde sich in einer Identitätskrise. Die Furore steht mir ins Gesicht geschrieben und Herbert erklärt entgegenkommend weiter: „Wir glauben, wir leben auf dem Land, wobei wir schon längst in der Stadt leben. Das ist ein tief verwurzeltes Missverständnis der Vorarlberger.“ Raum Vorarlberg sei durchtränkt von einer dichten sozio-kulturellen Infrastruktur, einem gut ausgeprägten Netz des Nahverkehrs sowie einem beachtlichen Arbeitsplatzangebot, allesamt urbane Elemente. Die Schwierigkeit liege in der gemeinhin ländlichen Nutzung des öffentlichen Raumes, der kein ländlicher Raum mehr sei. Der eine oder die andere könne sich bei Gelegenheit fragen, ob eine Auto-Eigentümerschaft heute noch obligat ist oder ob es unterdessen attraktive Alternativen gibt? Darüber hinaus, so Herbert, dämmere es den Vorarlbergern ohnedies, dass sie sich in einem Widerspruch befinden. „Diesen inneren Konflikt versuchen sie zu bewältigen, indem sie zumeist Vorarlbergs ländliche Idylle zelebrieren und städtische Potentiale restriktieren.“

Doch verlassen wir den Hochsitz der Retrospektive und spannen eine unsichtbare Brücke in die Zukunft der Gegenwart. Worauf steuert Vorarlberg zu? Herbert wirkt konsequent hoffnungsvoll und führt den »dritten Weg« ins Treffen.

Interview mit Herbert Brock
Interview mit Herbert Brock
Das Denken in Gegensatzpaaren refüsiert das essentielle Dritte.

Wussten Sie, dass die Teilung in lediglich zwei Alternativen mitunter als bequeme Gewohnheit des westlichen Geistes gilt? Dieses Denken in Gegensatzpaaren — null oder eins, pro oder kontra, entweder-oder — refüsiert das essentiell Dritte. Das ausgeschlossene Dritte ins Spiel zu bringen, verstößt geradezu gegen die Annehmlichkeiten unseres gewohnten Denkens. Nun, im Aufgeben dieser Gewohnheit wittert Herbert das wesenhafte Potential für die Zukunft Vorarlbergs. Im Endeffekt ginge es weder darum, sich als Städter*in oder als Landei zu küren noch darum, Standpunkt Land und Standpunkt Stadt widerstreitend gegenüber zu stellen. Das »Entweder-Oder« könne überhaupt gestrichen werden. Im Seinlassenkönnen des »Entweder-Oder«, zu dem im Übrigen Mut gehört, eröffne sich Freiheit und Toleranz. Mit der neuen Begrifflichkeit »LandStadt« sei es möglich, sowohl städtische als auch ländliche Qualitäten zu bergen und sozusagen das Beste aus beiden Welten zu leben.

Im Seinlassenkönnen des »Entweder-Oder« eröffnen sich Freiheit und Toleranz.

Aus dem Gespräch mit Herbert wird mir vor allem Eines gewahr: Es reicht nicht aus, bloß erklärt zu bekommen, wo wir leben. Wesentlich ist, dass wir es auch in eigener Regie weiträumig verstehen lernen.

Herbert steigt wieder in den Zug Richtung großstädtisches Wien. Im Tal hinterlässt sein Besuch ein Echo, das all jene erreicht, die es zu hören vermögen.

 

Text: Anna-Lena Burtscher
Fotos: Martin Schachenhofer