Eine Heimkehrerin beobachtet

Perspektive

Johanna Amann Portrait
LandStadt passiert für mich im Kopf, in meinen Gedanken.
Johanna Amann

Wie ich gelernt habe, mir meine eigene Stadt in und aus Vorarlberg zu bauen.

Dieser Text ist keine Lobeshymne auf Vorarlberg. Nach drei Jahren in Wien kann Vorarlberg ziemlich scheiße sein. Einmal, als ich in den Weihnachtsferien zu Hause war, spielte ich mit meiner Schwester ein Spiel: "Wetten, in den nächsten fünf Minuten läuft keine Menschenseele die Straße entlang". Wir weiteten das Spiel auf gewisse Variationen und Schwierigkeiten aus. Der Rekord liegt bei 15 Minuten. Und dabei liegt unser Haus nicht irgendwo abgeschieden am Berg, sondern mitten im Dorf.

Wenn ich in Wien aus meinem Fenster schaue, sehe ich den Ein- und Ausgang der UBahn. Ein Gewusel aus verschiedensten Menschen. Ein Paradies zum Beobachten. Zurück in Vorarlberg kann ich nur meine Nachbarn beobachten. Obwohl ich genau das an Vorarlberg hasse. Das zweite, dass ich nicht verstehe, ist die Überzeugung vieler Menschen hier, dass jede Person irgendwann wieder liebend gern nach Vorarlberg zurückkehrt. Wie ein ungeschriebenes Gesetz im Kopf vieler. Lebensqualität und so. Meine Tante meint, ich kann froh sein, dass ich in Vorarlberg bin und nicht in Osttirol, wo sie herkommt. Dort sei alles noch viel ländlicher. So hänge ich zwischen Großstadt und Dorf und versuche mich mit Vorarlberg zu arrangieren. Ich baue mir quasi meine eigene Stadt in und aus Vorarlberg. Ich mache mich auf die Suche nach Begegnungen, Räumen und Orten, wo ich die LandStadt Vorarlberg spüre. Hier wird mir nicht alles vor die Tür gelegt. Ich muss selbst aktiv werden.

Johanna Amann Portrait
Johanna Amann Portrait
Es sind schlussendlich meine eigenen Einstellungen, die vieles einfacher machen, denn LandStadt passiert für mich auch im Kopf, in meinen Gedanken.

Es sind schlussendlich meine eigenen Einstellungen, die vieles einfacher machen, denn LandStadt passiert für mich auch im Kopf, in meinen Gedanken. Und dann komme ich ins Tun. Bin ich halt eine Stunde mit den Öffis unterwegs, um eine Freundin zu treffen. Obwohl ich Oberländerin bin, fahre ich gerne spontan ins Unterland, was für andere fast schon eine Zumutung ist. Ich lerne, dass es auch in Vorarlberg ganz coole Cafés gibt. Im Bus sprechen zwei Frauen Litauisch, wir kommen ins Gespräch, weil ich selbst ein Jahr in Litauen gelebt habe. Die eine lebt seit zwanzig Jahren hier. Es sei das erste Mal, dass jemand sie im Bus anspricht. Die andere Frau ist erst drei Monate in Vorarlberg und Zimmermädchen in einem Hotel.

Mitte Dezember dann der neue Fahrplan: Es gibt eine neue Buslinie im Dorf, somit Anbindung an den REX und eine Verdoppelung der Anschlüsse. Genial. Und immer wieder treffe ich auf Menschen, die auch wie ich in Vorarlberg gestrandet sind, sei es wegen Job, Flucht, Liebe oder einfach so. Dann erkenne ich die LandStadt, die Vorarlberg ist: diese Vielfalt an Menschen und Orten, die immer mehr zusammenrücken und die Grenzen verschwimmen, wenn auch nicht verschwinden lassen.

Dann erkenne ich die LandStadt, die Vorarlberg ist: diese Vielfalt an Menschen und Orten, die immer mehr zusammenrücken und die Grenzen verschwimmen, wenn auch nicht verschwinden lassen.

Text: Johanna Amann / Graphikerin und Beobachterin.
Fotos: Martin Schachenhofer